Collis: Ostthüringer Gastgewerbe fehlen Fachkräfte

Ostthüringer Gastgewerbe fehlen Fachkräfte

In der thüringischen Provinz herrscht extremer Fachkräftemangel im Gastgewerbe. Manches Gasthaus beschäftigt inzwischen ausländische Mitarbeiter. Einige Lokale müssen die Öffnungszeiten reduzieren und Familienfeste absagen.

Inhaberin Ute Kutschbach mit Ehemann Wilfried vor dem Gasthaus „Collis am Gessenbach“. Anfang der 1990er-Jahre bauten sie peu à peu in Gera-Collis einen ehemaligen Bauernhof zum Ausflugslokal nebst Hotel, Kegelbahn und Spielplatz aus. Köche suchen sie seit dem Jahr 2014. Foto: Ulrike Merkel

Probstzella/Gera. Bulgarien, Estland, Litauen, Slowenien – die Köche des Bauhaushotels „Haus des Volkes“ in Probstzella kamen schon aus den unterschiedlichsten Ländern. Geblieben ist keiner sehr lange. Dem einen fehlten Heimat und Familie. Der Zweite zog bald weiter, nutzte das ostthüringische Hotel mit seinem angeschlossenen Restaurant nur als Einstieg ins deutsche Gastgewerbe. Ein Dritter beherrschte die deutsche Sprache nicht.

Vor zehn Jahren dreimal so viele Auszubildende

Dass Hoteliers und Gastronomen wie Dieter Nagel in Probstzella verstärkt auf ausländisches Personal setzen, ist dem extremen Fachkräftemangel in der thüringischen Provinz geschuldet. Noch vor zehn Jahren habe es im Freistaat dreimal so viele Auszubildende im Gastgewerbe gegeben, sagt Dirk Ellinger, Geschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga Thüringen mit Sitz in Erfurt. 2016 waren es nur noch 1200 Lehrlinge.

Neben dem Geburtenrückgang sieht Ellinger vor allem zwei Gründe für den Nachwuchsmangel: Zum einen ziehe es immer mehr Jugendliche an die Hochschulen. Zum anderen schreckten die familienunfreundlichen Arbeitszeiten ab.

„Wir sind ständig auf der Suche“, sagt Dieter Nagel. Ähnliche Sorgen hat auch Ute Kutschbach, die am idyllischen Geraer Stadtrand Gasthaus und Hotel „Collis am Gessenbach“ betreibt. Weil zwei Köche fehlen, musste die Wirtin nach zehn Jahren den bei Ausflüglern beliebten Mittagstisch am Donnerstag und Freitag einstellen. Und auch größere Feiern wie Goldene Hochzeiten und Trauergesellschaften müsste sie ablehnen. Mit den „dreieinhalb Köchen“ gilt es das Kerngeschäft abzusichern. „Das schmerzt sehr“, sagt Ehemann Wilfried Kutschbach. Auch die Colliser Wirtsleute haben bereits auf ausländisches Personal gesetzt. Allerdings glücklos. Ein syrischer Koch beispielsweise scheute sich, nachts allein den langen Heimweg zu Fuß in die Stadt anzutreten, was man ihm nicht verdenken kann. Ein Auto besaß der Familienvater nicht. Mit dem Koch steht und fällt alles“, sagt Dirk Ellinger. Je dünner besiedelt die Region desto komplizierter sei es, freie Stellen zu besetzen – vor allem in der Küche. Zwischen Stadt und Land bestehe ein extremes Gefälle.

Selbst überdurchschnittliche Löhne und andere Vergünstigungen brächten nur bedingt Erfolg, musste Dieter Nagel feststellen.

Außerdem haben Thüringer Wirte bei den Gehältern nur einen geringen Spielraum. „Der Freistaat liegt im Bundesvergleich beim gastronomischen Durchschnittsumsatz auf dem letzten Platz“, betont der Dehoga-Geschäftsführer. „Mit den Löhnen in der Industrie können wir nicht mithalten“, sagt Wilfried Kutschbach.

Der Probstzellaer Unternehmer Dieter Nagel sieht vor allem die Landespolitik in der Pflicht. Zwar würde Rot-Rot-Grün vielfach bekunden, den Tourismus fördern zu wollen. Aber was nützten zig teure Expertisen, wenn es schlicht und einfach an Personal fehle, meint er.

Berufsschule zu weit entfernt

Ein Problem, junge Leute aus der Region für die Berufe des Gastgewerbes zu begeistern, sieht Nagel in den zu weit entfernten Berufsschulen. Früher sei die Theorie in Unterwellenborn vermittelt worden, heute liege die nächste Schule in Gera.

Um der Krise entgegenzusetzen, beschreitet die Dehoga Thüringen mit ihrer eigenen Berufsschule in Erfurt neue Wege. Von den 260 Auszubildenden kommen 150 Lehrlinge aus Vietnam, die angeworben wurden. Insgesamt hat die Schule Berufsschüler aus 16 Nationen. Auch eine Klasse mit Schülern aus Marokko soll im neuen Schuljahr eröffnet werden.

Im Kulturmix sieht Geschäftsführer Ellinger durchaus Chancen. Während die Deutschen von der Dienstleistungsmentalität und dem Fleiß der Asiaten lernen könnten, könnten die Vietnamesen die deutsche Haltung zu Mülltrennung und Hygienevorschriften übernehmen.

Bei aller Personalnot gibt es aber auch kleine Lichtblicke. So wurde Probstzella einer Kellnerin aus Polen zur neuen Heimat. Und die Kutschbachs haben einen neuen jungen Koch, der sich derzeit einarbeitet und den drei Kilometer langen Heimweg in die Geraer Innenstadt tatsächlich zu Fuß zurücklegt. Ulrike Merkel / 19.08.17

 

Quelle: http://www.otz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Ostthueringer-Gastgewerbe-fehlen-Fachkraefte-2139093252

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